„Heute würde auch Jesus Sitzstreik machen“ – Ein Brief von einem Jesuiten im Gefängnis in Deutschland
Weil er 2022 an einer Straßenblockade in Nürnberg teilnahm, um gegen die Klimapolitik seines Landes zu protestieren, wurde der deutsche Jesuit Jörg Alt zu einer Geldstrafe oder knapp einem Monat Haft verurteilt. Pater Alt entschied sich für Letzteres und begann Anfang April mit dem Antritt seiner Strafe. Wir baten ihn um ein Interview, auf das er prompt per Post antwortete. Ákos Bitter berichtet aus Deutschland.
In einem früheren Artikel hatten wir bereits aufgrund P. Alts eigener Mitteilung dargestellt, was zur Inhaftierung von Jörg Alt SJ führte, und gleichzeitig baten wir ihn schriftlich um ein Interview; was seine Oberen über sein Engagement denken; ob Jesus seiner Meinung nach heute Sitzstreik machen würde; ob er sich als links einordnet; ob er sich dem heiligen Paulus, der ebenfalls ein aktives Leben im Gefängnis führte, nahe fühlt, und welche Botschaft er den ungarischen Leserinnen und Lesern mitgeben möchte. Schließlich stellten wir ihm auch die in katholischen Kreisen oft diskutierte Frage:
„Was denken Sie über die Meinung vieler, dass die Kirche keine NGO, also keine zivilgesellschaftliche Organisation sei, und ihr Hauptauftrag daher nicht der Aktivismus, sondern – mit den Worten des Gründers des Jesuitenordens – die Hilfe für die Seelen ist?“
Noch vor Ostern erhielten wir seine Antwort in einem handschriftlichen Brief, dessen Text wie folgt lautet:
„Lieber Ákos Bitter,
Danke für die Zuschrift. Nur: ich erhalte 1 Besuch pro Monat und 2 Anrufe pro Monat. Strafhaft ist nicht schön…
Ich habe aus verschiedenen Gründen nicht vor, irgendwelche Interviews zu geben, während ich im Gefängnis bin.
Nur auf einen Punkt will ich eingehen, der mich bei Ihren Fragen (wie so oft) sehr ärgert: Priester sollen Seelen helfen, d.h. nicht politisch sein.
Ein alter Benediktiner hat mir mal gesagt: „Gnade setzt Natur voraus.“ Oder, mit den Worten von Bertolt Brecht: „Fressen kommt vor der Moral.“ [genau: „Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral.“ Anm. Red.]
Geht der Klimawandel so weiter, wie es sich abzeichnet, werden wir bald zunehmend mit der Frage nach Essen und Trinken beschäftigt sein. Und: Fromme Worte werden dann den Hunger nicht stillen. Und: Gott wird dann kein Fleisch und Manna vom Himmel regnen lassen, denn dieses Problem haben wir selbst verschuldet.
Würde Jesus zivilen Ungehorsam wegen des Klimas begehen? Aber natürlich! Er hat das Sabbatgebot wegen des Wohles Einzelner gebrochen. Warum sollte er nicht heute Gesetzte wegen des Überlebens von Millionen brechen!!
Jesus wurde nicht getötet, weil er fromm gepredigt hat, sondern weil sich die Mächtigen seiner Zeit von ihm bedroht fühlten.
Eine Empfehlung für Ungarn. Lesen Sie die Berichte des Weltklimarates: alles, was dort steht, tritt gerade ein – nur leider viel schneller als angenommen.
Frohes Fest! Jörg Alt SJ“